Donnerstag, 17. Mai 2012

das flowerpower-phänomen

Früh am morgen, wenn andere kneipen ihre kundschaft bereits vor die tür gesetzt haben und auf den meisten tanzflächen der stadt schon das letzte bein geschwungen wurde, versammelt sich das absturzwütige leipziger partyvolk in einem kleinen laden namens flowerpower. 

Schon von weitem ist eine menschentraube vor dem eingang zu erkennen, vor allem weil davor Andre der hexer bis morgens hinter seinem grill steht. Das es zu dieser uhrzeit nur noch hier bockwurst und grillkäse gibt, weiss so ziemlich jeder leipziger nachtschwärmer.

Mit dem schritt durch die kleine tür und einen schweren vorhang betritt der gast eine zeitlose parallelwelt, nicht wissend wann und vor allem wie er wieder herauskommen wird. Es ist schummrig und stickig und der überladene kleine raum ist voll mit menschen. Die decke ist abgehangen mit stoffbahnen aus denen sonnenblumen hervorwachsen und auch die tische haben blumenformen, während die hocker kleine pilze zu sein scheinen. Alte pinnball-tische sind in eine wand eingelassen, gegenüber posiert ein lebensgroßer gemalter jimmy hendrix zwischen zwei nackten schönheiten. Die bar ist, ähnlich wie der rest des raumes, überfüllt mit kram und ausgefallenen dekorationen: über der bar blubbern reagenzgläser vor sich hin und quer durch den raum ist ein seil gespannt an dem ununterbrochen eine kleine kuh hin- und her gezogen wird. 

Einmal nen schönen platz gefunden setzt die akklimatisation ein und durch das gedämpfte licht der ebenfalls mit stoffen behangenen lampen und den zigarettenrauch erspäht das auge bemerkenswerte gestalten. Metall-heads und hippies, vorstädter und verschrobene Hartz IV empfänger. Hier tummelt sich alles vom student bis zu gescheiterten existenzen und exzentrischen lebemännern und -frauen in ihren 20ern bis 40ern. Häufig sind, normalerweise selten aufzufindende, accesoires wie matrosenmützen, hüte und hosenträger auszumachen. Gerade kommt ein kerl in einer knallroten strumpfhose hereinspaziert. 

Auf eine Wand werden per beamer alte musikvideos und konzertaufnahmen, besonders aus den 60ern und 70ern projiziert. Ununterbrochen laufen sachen wie led zeppelin, joe cocker oder ac/dc.. eine zeitreise in eine ära, die mich musikalisch unglaublich prägt und erfüllt. Ist man früher da, gibt’s auch livemusik auf der kleinen bühne gleich neben dem eingang, oder amok alex mit seinem amerikanischen slang, veranstaltet ein musik-quiz bei dem auch schonmal ein schnäppschen gewonnen wird. Allerdings auch in gesellschaft einer horde musiker, auf kneipentour nach ihrem eigenen gig.

Sitzt man dort mit gepanschter bierplörre bei genialer musik, einfach teil eines verrückten haufen von menschen,  offenbart sich eine vielfalt der stimmungen um einen herum. Es wird lautstark geschnackt und nebenan bereits selig geschlummert. ein paar tanzen völlig wild und ausladend während der nächste in sich selbst versunken, ob eines pete townshend solos glücklich vor sich hinlächelt.

Besonders in den morgenstunden heisst es ,bei nem männeranteil von 80% oder mehr: auf lustige und verschrobene anmachen gefasst sein. Wenn sich nicht schon die leute vom nachbartisch zwischendurch auffällig zu den mädels gesellen, werden spätestens auf dem weg zum klo, auf dem man sich durch die gesamte menge schlängeln muss, meist nette, manchmal auch konfuse sprüche gerissen (Wie etwa „bist du krankenschwester?“ oder „besorg der frau doch mal n bier!“) Zwischendurch landet man noch sandwich-style zwischen einem tanzenden pärchen und schlüpft hoffend zwischen dartscheibe und ausholendem dart-spieler hindurch. Ein bischen schön ist es dann schon wenn man auf dem weg zurück  den derb- charmanten blonden köllner wiedertrifft mit dem es zuvor schon ein pläuschchen vor der tür gab, und dieser einen an die hand nimmt und einen weg quer durch den überfüllten laden bahnt.

Unter all den kurzen begegnungen und oft sinnfreien smalltalks gibt’s auch immer mal echt nette gespräche, etwa wenn man feststellt, dass beide die gleichen dark jazz und doom bands hören, die sonst NIEMAND auf der welt kennt.

Wahnsinn. Jeglicher sinn für zeit fehlt. es ist schon morgen. Die magische flowerpower zeit. Diese andere welt, dieses dunkle realitätsferne loch spuckt einen wieder aus auf die strasse, in den hellichten tag, mit lachflashes und angesenkten wimpern, blauen flecken oder per taschenmesser gekappten schnürsenkeln. Es ist neun uhr morgens. Erstmal zum bäcker und schweineöhrchen essen.